Sonntag, 17. Februar 2013

Filmtagebuch: Gegengerade (2011)

Reviews und Kritiken zu Gegengerade - Niemand siegt am Millerntor legen ihr Augenmerk zumeist auf das beachtliche Staraufgebot oder das Herzblut, mit dem der vermeintliche Kult-Club Pauli dargestellt wird. Prominent besetzt - und das nicht nur in Kleinstrollen - ist der Film mit Mario Adorf, Moritz Bleibtreu, Claude-Oliver Rudolph, Natalia Avelon, Katy Karrenbauer (und Cameos von Wotan Wilke Möhring, Joey Kelly, Ferris M.C., Vivian Schmitt) durchaus. Und wenn Herzblut bedeutet, die Fan-Szene des FC St. Pauli, zu der nunmal auch einige der unangenehmsten und möchtegern-elitärsten Kameraden in Fußballdeutschland gehören, unreflektiert zu glorifizieren, dann trifft auch dieses auf Gegengerade zu.
Was eher wenig Beachtung findet, ist der eigenwillige Stil des Films, der nicht nur bei der Darstellung des Kiez-Clubs leicht angetrunken über den schmalen Grat zwischen comicartiger Überzeichnung und lächerlicher Tendenziösität torkelt. Wirken der erzböse Staatsanwalt, der sogar ein Verbrechen vortäuscht, um den verhassten Fußballfans an die Gurgel zu können und der wenig kritische Blick auf diverse Gesetzesübertretungen seitens der Paulianer noch wie eine kleingeistige und undifferenzierte Trennung zwischen den beiden Lagern, wie man sie in dieser mundgerecht servierten Einfachheit sonst nur aus dem Kinderfernsehen kennt, schießt das Finale dann endgültig den Vogel ab. Eine Hundertschaft Bullen, die im Stile eines SA-Prügeltrupps über harmlose Fans herfällt und Adorfs Bierbude in ein flammendes Inferno verwandelt, in dem dieser dann in absurder Dramatik dahinherzinfarkten darf, lassen den Betrachter einigermaßen ratlos zurück. Soll das witzig sein, oder ist das die subjektive Realität eines Pauli-Fans, der zuvor mit einem Film wie Chaostage - We are Punks keinen Zweifel an seiner Weltsicht gelassen hat? In jedem Fall fehlen dem Film über die Laufzeit jegliche Hinweise darauf, dass dies alles als Ironie zu begreifen wäre, sodass er sich definitiv den Vorwurf gefallen lassen muss, die Legal-Illegal-Scheißegal-Einstellung der autonomen Pauli-Fans zu unterstützen, sowie ein äußerst subversives Bild der Polizei und der staatlichen Organe zu zeichnen.
Kann man gut finden, kann man aber in Hinblick auf die Entwicklung Minderjähriger auch als weitaus kritischer empfinden als einen müden Horrorfilm, der aufgrund einiger Splatter-Einlagen verboten wird. 
Dabei kann man sich Gegengerade ungeachtet dieser moralischen Interpretationen und des ultimativen Realitätsverlustes der beiden Regisseure als flotten teutonischen Straßenfilm durchaus angucken. Schade nur, dass sich das Bild des "etwas anderen", sympathischen Underdogs in Deutschland so gut verkauft und für bare Münze genommen wird, wobei völlig untergeht, dass genau diese Vereine - ob sie nun Aachen, Düsseldorf oder eben St. Pauli heißen - mit die zweifelhaftesten Gestalten zu ihren Anhängern zählen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen