Sonntag, 16. September 2012

Filmtagebuch: 66/67 - Fairplay war gestern (2009)

Was das Autoren- und Regie-Duo "Ludwig & Glaser" hier geschaffen haben, lässt sich nur schwer als Ganzes beschreiben. Man kann 66/67 als typischen Fußball- oder Hooligan-Film sehen, wird dann jedoch über die wenigen Gewaltszenen enttäuscht sein. Die Erzählstruktur legt einen Vergleich zu Gang- oder Drogen-Filmen wie Trainspotting nahe, doch das wäre eine allzu oberflächliche Betrachtungsweise. Am ehesten will der Film selbst offensichtlich in die Richtung Coming-of-Age gehen, da ihm aber auch das nur zum Teil gelingt, darf man 66/67 wohl getrost als eine ungewöhnliche Mischung aus all diesen Genres bezeichnen. Das Thema Fußball und Gewalt ist dabei selbstverständlich immer präsent, gerät allerdings letztlich zum Vehikel für die Charakterisierung der sechs zentralen Figuren.
Florian und Otto stehen dabei im Vordergrund, der eine Anführer und Sprachrohr der sechs gewalttätigen Fans von Eintracht Braunschweig (welche sich die titelgebende Saison, in der der Verein das einzige Mal Deutscher Meister wurde), der andere der quirligste und explosivste unter den Kumpels. Während Florian sein bereits erfolgreich erworbenes Diplom vor Vater und Freundin geheimhält, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, seine Rolle in der Truppe für einen möglichen Job opfern zu müssen, hadert Otto mit seiner Homosexualität, die ihn in der Hoolszene angreifbar macht, wobei seine extreme Aggressivität eine schwule Beziehung in unerreichbare Ferne rückt. Ihre jeweiligen Verhaltensweisen rechtfertigen die beiden dabei mit äußerster Irrationalität. Selbstgerecht und ignorant und schließlich mit dem Rücken an der Wand stehend, sich in vermeintliche Loyalität, Ehre und Stolz und letztendlich in Gewalt flüchtend.
Von den anderen vier Freunden sticht lediglich der nerdige Christian hervor, der sein Leben bereits bis ins Jahr 2054 akribisch durchgeplant hat. Als er seine Vorstellungen von Beruf und Familie plötzlich vor dem Kollaps sieht, entlädt sich dieser Frust in einem Gewaltexzess. Christians Welt ist allerdings nicht die einzige, die vor dem Einsturz steht. Die Hool-Truppe zerbröckelt langsam aber sicher, nachdem sich mehr und mehr Mitglieder einem bürgerlichen Leben widmen und der Gewalt den Rücken kehren, und auch die Eintracht selbst steht vor dem Absturz in die Viertklassigkeit.
In der Breite scheitert 66/67 letztlich an der etwas zu weitläufigen Welt, die der Film aufbaut. Sechs Schicksale beleuchtet man nicht mal so eben in zwei Stunden, auch nicht wenn nur zwei, allenfalls vier davon wirklich in die Tiefe gehen. Hier bleibt einfach zu viel ungeklärt und unerklärt, was aber in gewisser Weise auch zur Irrationalität der Figuren passt. Allerdings sind da ja auch noch die Komponenten Fußball und Gewalt, die eigentlich nur angerissen werden und die Hauptklientel, die der Film anlocken dürfte, enttäuschen wird. Als kruder Genremix von einer Milieustudie funktioniert 66/67 dann aber vor allem dank der unbeschreiblich intensiv und authentisch spielenden Hauptdarsteller ausgesprochen gut.

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