Freitag, 1. Oktober 2010

Review: Valerie - Eine Woche voller Wunder

Von Zeit zu Zeit kommen einem Filme unter, die so gänzlich anders sind, als alles, was man gemeinhin unter Konformität versteht. Valerie - Eine Woche voller Wunder aus dem Jahr 1970 gehört zweifelsohne zu jenen Werken. Entstanden in der ehemaligen Tschechoslowakei erzählt der Film von einer Woche im Leben der jungen Valerie, beginnend mit dem Tag ihrer ersten Menstruation. "Erzählt" ist dabei jedoch keinesfalls im herkömmlichen Sinne zu verstehen, denn einen Spannungsbogen, geschweige denn einen narrativen Verlauf der Handlung sucht man hier vergebens. Ebenso wenig wird der Zuschauer über die Identität so mancher Figur sowie deren Beziehungen und Verbindungen aufgeklärt. So stellt sich in unzähligen Situationen - vor allem sexueller Natur - die Frage, ob die Heranwachsende hier Dämonen näher kommt, inzestuöse, homoerotische oder anderweitig verwerfliche Erfahrungen macht, oder von Mitgliedern des Klerus verführt wird.
Alles an diesem Film spielt sich auf einer symbolischen Ebene ab und bietet zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. Dabei ist nicht nur die Darstellung in ihrer Surrealität durchweg traumartig: Die immer wiederkehrenden Szenen, die Valerie im Bett liegend zeigen, lassen die Möglichkeit offen, dass auch das Mädchen nur eine Reihe von Träumen durchlebt, in denen sie ihre erwachende Sexualität verarbeitet. 

Wer jetzt glaubt, das Werk von Regisseur Jaromil Jires sei eine Ansammlung scheinbar willkürlich zusammengefügter Symbole oder symbolhafter Begebenheiten, deren philosophische Deutung eine gewaltige Herausforderung darstellt, hat sicher nicht ganz Unrecht. Allerdings zeigt sich zum einen am Ende des Films, dass die einzelnen Episoden und deren Visualisierung sehr wohl durchdacht und zielführend eingesetzt wurden, zum anderen ist Valerie - Eine Woche voller Wunder auch ohnehin auch auf der rein visuellen Ebene ein unvergleichliches Erlebnis. Nahezu jede einzelne Kameraeinstellung, jede Bildkomposition und jeder Lichtstrahl, der auf die Szenerie trifft, sind ganz bewusst gewählt und arrangiert. Das Ergebnis ist ein überwältigendes Fest für die Sinne, das noch lange nach dem Abspann nachwirkt.

Das Bild ist dem Alter entsprechend nicht auf dem neuesten Stand, dank eines neu abgetasteten Masters jedoch vollauf zufriedenstellend. Ähnliches gilt für den Ton, der allerdings lediglich in tschechischem Mono vorliegt, natürlich verständlich gemacht mittels deutscher Untertitel. 
Als spannend an der DVD-Veröffentlichung und der damit verbundenen Aufmerksamkeit, die dem Film 40 Jahre nach seiner Uraufführung zuteil wird, könnte sich die Frage der Zensur erweisen. Valerie-Darstellerin Jaroslava Schallerová war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade einmal 13 Jahre alt und spielt hier nicht nur inhaltlich diverse Sexerfahrungen durch, sondern gewährt auch mehr als einmal deutliche Blicke auf ihren minderjährigen Körper. Sicherlich wäre jeder Vorwurf in Richtung Kinderpornografie lächerlich, ja sogar böswillig, doch was in den 70ern problemlos akzeptiert wurde, könnte in unserer heutigen Zeit, in der die Rechtsprechung mitunter abenteuerliche Auswüchse annimmt, durchaus Ärger machen. Hoffen wir also, dass Valerie nicht am Ende doch noch das gleiche Schicksal wie Maladolescenza - Spielen wir Liebe ereilt, der 2006, zwei Jahre nach seiner ersten DVD-Veröffentlichung, bundesweit beschlagnahmt wurde. Schließlich ist hier jede einzelne dieser Szenen zielführend und alles andere als selbstzweckhaft oder gar exploitativ inszeniert.
Bei den Extras legt sich Bildstörung mal wieder kräftig ins Zeug und bietet neben einem deutsch untertitelten Audiokommentar von Peter Hames und Daniel Bird, einer Tonspur mit alternativem Soundtrack und diversen Interviews auch eine 25-minütige Doku zur Entstehung des Films. Ein Musikclip rundet das Bonusmenü ab, während es in der aufwändig und edel gestalteten DVD-Hülle weiterhin noch einiges zu entdecken gibt: So finden sich hier ein 64-seitiges Booklet und eine separate Soundtrack-CD, die allerdings nur der Erstauflage beiliegt. Ein außergewöhnlicher Film also, der eine würdige DVD-Umsetzung erfahren hat und Freunden surrealistischer Filmkunst á la Alejandro Jodorowsky schier grenzenlose Freude bereiten wird.


Erschienen auf www.totentanz-magazin.de

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